Interviewreihe zur Ausbildungsordnung (Teil 1)

Im Interview mit Martin Meyer, Referatsleiter Qualifizierung, Sport & Sportschule, werfen wir einen Blick auf die Herausforderungen der neuen DFB-Ausbildungsordnung und die Auswirkungen auf die Aus-, Fort- und Weiterbildung beim BFV.


Hallo Martin, was macht das kommende Jahr so besonders für das Team Qualifizierung?

Wir stehen nicht nur vor dem Wechsel zu einer neuen Ausbildungsordnung, sondern vor allem vor einem Paradigmenwechsel im Bereich Qualifizierung. Seit über einem Jahr wird hinter den Kulissen an einem neuen Lehr- und Lernverständnis gearbeitet, werden formale Rahmenbedingungen entwickelt sowie die technischen Voraussetzungen für die Entwicklung des „Blended Learning“ geschaffen. Mein Team nimmt den Auftrag aus Future BFV ernst und möchte die innovativste und professionellste Qualifizierung Deutschlands bieten.

Was genau verändert sich alles für die Teilnehmer:innen?

Man kann im Groben von drei wesentlichen Veränderungen sprechen. Wir möchten Entwicklung belohnen, statt Prüfungswissen abzufragen, wir möchten flexibles Lernen ermöglichen und wir werden durch Anpassungen in der Lizenzausbildung mehr Spezialisierung fördern. Das Ziel ist die Entwicklung von Expert:innen der jeweiligen Alters- und Leistungsbereiche – von Kindertrainer:innen bis hin zu Coaches für den Spitzenbereich.

Die Lizenzstufen bleiben auf Landesverbandsebene gleich. Es gibt den Grundlehrgang als Basis für alle weiteren Ausbildungen, anschließend die C- Lizenz für den Einstieg im Amateurbereich und die B-Lizenz für den leistungsorientierten Amateurfußball. Alles darüber findet wie gehabt auf der Ebene des DFB statt, um das individuelle Potenzial der Teilnehmer:innen auszuschöpfen. Es wäre doch grandios, wenn die erste Frau in der Bundesliga der Männer ihre ersten Schritte im Berliner Lernzentrum gemacht hätte.

Woran zeigt sich das neue Bildungsverständnis des BFV?

Bestenfalls zeigt sich das in jedem Lehrgang als roter Faden. Wir haben dazu drei Aussagen an unsere Teilnehmer:innen formuliert:

Wir holen Dich dort ab, wo Du gerade stehst.

Du entscheidest, was Du mitnehmen und investieren möchtest.

Wir bevormunden Dich nicht, sondern begleiten Deinen Weg.

Hinter diesen Aussagen stecken diverse Referenzmodelle, die unserem Bildungsverständnis zu Grunde liegen. Ein Beispiel: der methodische Vierklang umfasst die Aktivierung von Vorwissen, den Erwerb von Wissen auf Basis fundierter Referenzmodelle, die Anwendung im gewohnten Umfeld sowie eine abschließende Reflexions- und Feedbackphase.

Wir nehmen in diesem Lernprozess Rücksicht auf die individuellen Gegebenheiten der Teilnehmer:innen sowie ihre zeitlichen Ressourcen und versuchen dabei die erforderlichen Kompetenzen für die Aufgaben im Verein zu entwickeln. Das kann bedeuten, dass die Lernerfolge und Fortschritte der einzelnen Personen sich voneinander unterscheiden. Ein abstraktes „Richtig“ oder „Falsch“ tritt in diesem Prozess in den Hintergrund und wird durch ein individuelles Feedback zum aktuellen Entwicklungsstand ersetzt.

Wie sieht künftig der Weg zur C-Lizenz aus?

Den Auftakt bildet immer der Grundlehrgang, den alle Personen absolvieren müssen. Er dauert einen Monat bei flexibler Zeiteinteilung der 40 Lerneinheiten, sodass man auch im stressigen Berufsalltag oder am Strand im Urlaub den Lehrgang absolvieren kann. Dabei werden wir den Teilnehmer:innen zunächst die Grundlagen näher bringen – und zwar nicht nur als Trainer:in, sondern auch mit dem Blick auf Teambetreuung und Vereinsführung.

Im Anschluss daran absolvieren die Teilnehmer:innen das für ihre aktuelle Tätigkeit passende Profil der C-Lizenz im Umfang von 80 Lerneinheiten. Die alte Ausbildungsordnung hat dabei noch eine Kombination aus zwei Profilen vorgesehen, die nun entfällt. Wer ein Kinderteam trainiert, wird das Profil Kinder absolvieren, Coaches aus dem Jugendbereich das Profil Jugend usw. Das ist insofern auch schlüssig, als dass wir alle genau dort abholen und begleiten wollen, wo sie auch tatsächlich aktiv sind. Der Umfang der gesamten C-Lizenzausbildung bleibt insgesamt unverändert. Nach 120 hoffentlich aufschlussreichen Lerneinheiten darf man sich Trainer:in nennen.

Was genau bedeutet in diesem Zusammenhang Blended Learning?

Wir sind bereits seit zwei Jahren intensiv in der Umsetzung und Pilotierung der Kombination von digitalem und analogem Lernen. Blended Learning meint daher genau diese Mischung der zwei Lernformate. Daraus ergibt sich, dass wir die Teilnehmer:innen im Lernzentrum auf der Theorieebene abholen und auf einen vergleichbaren Wissenstand führen können. Die digitale Phase bereitet damit die Präsenztermine am Ausbildungsstandort sowie die Umsetzung im eigenen Verein vor und nach. Durch den Wechsel aus digitaler Phase und Präsenzphase können wir aktive Anwendungsphasen gestalten, die den Teilnehmer:innen die Möglichkeit bieten, das Erlernte zwischen den Präsenzterminen auch mit dem eigenen Team auszuprobieren.

Und im Anschluss gibt es dann eine große Prüfung über alle Themen?

Nein, wir werden niemanden mehr vor eine Prüfungskommission stellen und dann den Daumen heben oder senken. Auf dem Weg von der ersten bis zur letzten Lerneinheit werden künftig sog. Zwischenleistungen erbracht. D.h. die Teilnehmer:innen bearbeiten sowohl in der Onlinephase als auch bei den Präsenzterminen Inhalte und dokumentieren darüber ihre persönliche Entwicklung. Während des gesamten Prozesses geben unsere Referent:innen konstruktive Rückmeldungen, um die nächsten Lernschritte zu initiieren. Das geschieht entweder auf dem Platz gemeinsam mit anderen Teilnehmer:innen oder im Lernzentrum für die einzelnen Aufgaben. Den Abschluss des Lehrgangs und letztlich einen entscheidenden Teil der Bewertungsgrundlage bildet dann das Entwicklungsgespräch. Hier tauschen sich Referent:innen und Teilnehmer:innen über die Fortschritte während des Kurses aus. Natürlich kann sich dabei auch herausstellen, dass die gewünschte Entwicklung nicht eingetreten ist und eine weitere Begleitung erforderlich ist. Wir arbeiten dabei mit klaren Kriterien und Referenzmodellen, die den Erfolg eines Lehrgangs messbar machen.

Welche Vorteile versprecht Ihr Euch für die Teilnehmer:innen?

Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle, die alle auf ein Ziel einzahlen: persönliche Entwicklung engagierter Ehrenamtlicher. Durch die Etablierung unseres neuen Bildungsverständnisses, digitaler Lernmöglichkeiten sowie verstärkt zielgruppenspezifischer Kursinhalte werden die teilnehmenden Personen wesentlich effektiver und nachhaltiger qualifiziert.
Ich kann künftig die gesamte C-Lizenz sehr viel flexibler und auf meine Kapazitäten abgestimmt absolvieren. Der zeitliche Aufwand, z.B. durch Präsenzlehrgänge in der Sportschule oder externe Prüfungstage, wird im Schnitt von zwölf auf vier Tage reduziert, ohne dabei Praxiserfahrung einzubüßen. Diese wird regelmäßig in den Heimatverein verlagert. Ich kann also mit meinem Team im vertrauten Umfeld die neuen Inhalte ausprobieren und lerne nicht für die Prüfung, sondern für mein „Tagesgeschäft“.

Welche Nachteile gibt es? Gibt es weniger Austausch mit anderen Teilnehmenden?

Mögliche Nachteile werden wir sukzessive entdecken und dann die richtigen Anpassungen vornehmen müssen. Wir haben eine sehr aktive Feedbackkultur seit Einführung des Lernzentrums etabliert und viele Anregungen aus der Community umgesetzt. So werden wir es auch bei den Lehrgängen handhaben. Jeder Kurs wird nachbereitet und so steht das Jahr 2023 auch immer unter der Überschrift „Ausprobieren und Weiterentwickeln“ – was übrigens sehr gut zu unserem vorgestellten Bildungsverständnis passt.

Der Austausch mit anderen während des Lehrgangs ist für uns immens wichtig, vor allem auch um vielfältigen Meinungs- und Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Wir haben daher für die Präsenzphasen verbindlich festgelegt, dass Frontalvorträge und einseitiger Input der Vergangenheit angehören. Miteinander über Fußball sprechen und gemeinsam den Ball bewegen steht an erster Stelle. Auch in den digitalen Phasen sind wir kooperativ unterwegs und haben dafür unsere Lernplattform als soziales Netzwerk konzipiert.

Wird die Qualifizierung teurer?

Die Kostenfrage beschäftigt gerade auf der DFB-Ebene momentan die Gemüter. Viele Lehrgänge wurden stark verteuert, nicht nur bzgl. der Kursgebühren, sondern auch der Reiseaufwand schlägt zu Buche.
Uns war wichtig, dass wir nach der Qualifizierungsoffensive 2022 und der Rückkehr zu den regulären Preisen in Berlin nicht in dieselbe Preissteigerung kommen. Am Beispiel des Grundlehrgangs (50,00 EUR) und der dezentralen C-Lizenz-Profile (200,00 EUR) zeigt sich, dass wir die Kosten unverändert niedrig halten und der BFV großen Subventionsaufwand dafür betreibt, z.B. indem die Entwicklungskosten des Lernzentrums nicht auf die Kursgebühren aufgeschlagen wurden.

Vielen Dank für das Interview.

Weitergehende Informationen sowie Antworten zu den häufigsten Fragen finden sich im FAQ-Bereich.

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  1. Ich habe letztes Jahr noch am Profil Jugend erfolgreich teilgenommen und muss sagen,
    echt tolles Konzept. Du schreibst: Zitat “Neu ist, dass während der gesamten C-Lizenz mehr Wert auf Begleitung der individuellen Wicklung gelegt wird, als auf eine große Abschlussprüfung.”
    Ich vermute, Du meinst Entwicklung.

    1. Hey Hussein, das war bislang tatsächlich auch schon so. Neu ist, dass während der gesamten C-Lizenz mehr Wert auf Begleitung der individuellen Entwicklung gelegt wird, als auf eine große Abschlussprüfung. Wir hoffen also, dass wir mit dem neuen Format mehr und besser ausgebildete Teilnehmer:innen erreichen werden.